Kryštof ist ein LGBTQ+ Aktivist, der die meiste Zeit seiner Jugend im Ausland verbracht hat. In unserem Interview teilt er seine online und offline Erfahrungen und Reaktionen auf seine Person mit uns. Gleichzeitig sprechen wir das aktuelle Thema Gleichberechtigung in der Tschechischen Republik an.
Kryštof, kannst du dich bitte vorstellen? Wer bist du und was machst du?
Ich bin 22 Jahre alt und komme ursprúnglich aus Prag. Ich bin qay, queer. Ich studiere Jura und Politologie an einer Uni in Frankreich, weil Menschenrechte schon immer ein großes Thema für mich waren. Ich war auch in Brüssel beim Europäischen Parlament auf einem Praktikum. Ich habe lange hin und her überlegt, ob ich politisch aktiv sein möchte, da ich nicht wusste, ob es eine politische Gruppe gibt die am LGBTQ+ Aktivismus beteiligt oder interessiert ist. Um ehrlich zu sein bin ich immer noch am schwanken. Im Moment bin ich sehr zufrieden mit meinem Leben – in der Schule bin ich erfolgreich, ich habe einen tollen Freundeskreis um mich herum und vor allem bin ich Frei.
Wie reagierte dein Umfeld auf deine sexuelle Orientation? Was sagen deine Familie und Freunde dazu?
Ich komme aus einer sehr katholischen Familie, weshalb auch mein Coming out komplizierter war. Schon von klein auf war ich mir bewusst, dass ich gay bin. Bei eigentlichen verstehen half mir dann das Internet, da ich zu Hause mit niemanden darüber sprechen konnte. Ich vermisste die Unterstützung von meinen Eltern. Sie haben mein Coming Out nicht gut aufgenommen. Sie schickten mich in ein Kloster zu einem katholischen Sommercamp, da sie dachten ich wäre krank und dort würden sie mir helfen können. Ich habe somit ein sehr schwieriges Verhältnis mit meinen Eltern. Manchmal sprechen wir miteinander.
Zum Glück habe ich 5 tolle Geschwister, mit welchen ich extrem gut auskomme. Mit 16 wollte ich nur noch weg. Dazu verhalf mit ein Stipendium an einem amerikanischen Internat. Seitdem studiere ich im Ausland. Nur jetzt im letzten Jahr bin ich wegen der COVID-Situation zurück in Tschechien. Mein Studium will ich jedoch nach wie vor in Frankreich abschließen. Schon in der High School war ich bereits in LGBTQ+-Themen involviert und arbeitete daran, die Schulregeln inklusiv zu gestalten. Dann an der Uni in Frankreich war ich in der Studentenregierung und habe es geschafft, eine Menge Dinge im Rahmen von LGBTQ+ voranzutreiben. Ich habe versucht, es den Leuten aus dieser Gemeinschaft leichter zu machen, sie selbst zu sein.
Welchen Reaktionen begegnest du offline/online?
In Prag begegne ich mittlerweile fast täglich mit irgendeiner Reaktion. Mit Hate Speech circa ein mal pro Woche und alle zwei Wochen treffe ich auf Beschimpfungen wie “Schwuchtel” und ähnliches. Ich glaube ich habe da schon eine dicke Elefantenhaut. Irgendwie rechnet ich schon damit und bin “daran gewöhnt” solche Reaktionen zu erhalten. Es bleibt im Endeffekt leider nicht anderes übrig.
Dies ist auch der Grund, warum ich das Haus nie ohne Kopfhörer verlasse. Alles damit ich diese Anspielungen nicht hören muss, ich trage dunkle Sonnenbrillen und versuche Leute zu meiden. Ich bin ein sehr expressiver Mensch. Ich kleide mich queer und will, dass man es auch sieht. Ich will mich so kleiden, wie ich mich fühle. Es gibt allerdings eine Sache, die mich wirklich stört, und das sind die Reaktionen, die sich auf die Menschen auswirken, mit denen ich gerade zusammen bin. Ich war zum Beispiel einmal auf einem Date und eine andere Freundin und ich blieben stehen und unterhielten uns. Plötzlich hörten wir: „Wenn sie noch länger hier bleiben, muss ich bald kotzen.“ Ich begann damit zu drohen, die Polizei zu rufen. Die Leute gingen, aber meine Freundin war schockiert. Menschen, die solche Reaktionen nicht gewohnt sind, macht der offene Hass zu schaffen. Ich wurde sogar schon von Leuten aus meinem Auto heraus angespuckt. Seitdem gehe ich weiter von der Straßer entfernt. Aber in der Online-Welt sind die Leute viel mutiger, deshalb gehe ich nicht mehr auf Facebook. Ich bin hauptsächlich auf Twitter, wo ich am meisten kommuniziere. Hater machen oft Screenshots und posten sie auf Facebook. Unter diesen Beiträgen befinden sich natürlich auch Hass und Kommentare wie „Ich sollte mich besser aufhängen“, „Ich sollte mich behandeln lassen“ und so weiter. Meine Freunde haben mir das anfangs geschickt, jetzt will ich es nicht mehr sehen.
Hast du jemals auch anderen als verbalen Missbrauch erlebt?
Als ich 17 war, hatte ich mein erstes traumatisches Erlebnis. Ich war in Bosnien (Sarajevo) und es war üblich, dass mich die Leute auf der Straße anschrieen. Eines Tages fotografierte ich also in der Umgebung von Sarajevo, und auf einem Bild bemerkte ich, dass ich eine Gruppe von etwa 4 Männern fotografierte, die mich ansahen und an denen ich vorbeilaufen musste. Sie folgten mir und einer der Kerle hatte ein Messer. Ich musste etwa eine Stunde lang vor ihnen weglaufen, bevor ich in das Zentrum kam, wo Leute waren. Dort fühlte ich mich wieder „sicher“. Bis heute habe ich nicht den Mut, mir das Bild anzusehen. Diese schlimme Erfahrung motivierte mich, einen Essay über LGBTQ+ Rechte in Bosnien zu schreiben. Also wandte ich mich an die Anwälte des Sarajevo Open Center und schrieb es.
Als ich dann zum Beispiel für ein Semester in Marokko in Rabat war, gab es kein Händchenhalten. Die Leute fingen an Steine zu werfen. In Athen habe ich dann erlebt, wie ich aus einem Geschäft rausgeworfen wurde. Ich war mit meinen Freunden dort, der Angestellte weigerte sich, mich zu bedienen und schob mich hinaus. Dort habe ich die griechische Polizei und die tschechische Botschaft eingeschaltet. Die Polizei traf nach einer Stunde ein, machte sich Notizen, sagte aber, dass es keine Verletzten gäbe und sie daher nichts tun könnten. Ich müsste offiziell eine Klage einreichen. Die Anwälte im Konsulat sagten mir jedoch, dass es nichts nützt. Diese Erfahrungen haben mir geholfen, eine „Mauer“ um mich herum zu bauen, und manche Dinge kommen nicht mehr ganz an mich heran. Ich versuche, sie nicht zu sehen.
Hast du das Gefühl, dass sich die Reaktion der Umwelt und die Situation in der Gesellschaft in die richtige Richtung bewegt?
Wir verbessern uns im sozialen Bereich. Es ist für mich erstaunlich zu sehen, wie sich die tschechische Gesellschaft bewegt und wie die jungen Leute progressiver und toleranter sind. Aber die Tschechen reagieren eher still. Sie sind still, wenn etwas passiert. Der Großteil der Gesellschaft ist cool. Die kleinere Gruppe (etwa 10 %) ist stärker radikalisiert. Viele Politiker schweigen, um keine Stimmen zu verlieren. Was ich hier vermisse, ist, dass es keine öffentliche Debatte über diese Themen gibt. Außerdem gibt es Leute im Parlament, die über die Medien Einfluss auf die Gesellschaft nehmen und Hassreden unterstützen, und Homophobie wird in diesem Fall als Gegenpol genommen.
Was steckt hinter #dopiszarovnost?
Ich habe vor der Abstimmung über den Änderungsantrag zur Gleichstellung der Ehe Wahlkampf gemacht. Ich habe eine Website mit Informationen über unentschlossene Abgeordnete eingerichtet und einige von ihnen persönlich getroffen, wie zum Beispiel Herrn Gazdík. Ich habe versucht, Hunderte von Menschen zu aktivieren, um Unterstützungsbriefe an Abgeordnete zum Thema „Gleiche Ehe“ zu schreiben. Ich glaube, dass es sich gelohnt hat und dass es geholfen hat.
Was würdest du den Menschen in Bezug auf Akzeptanz und Gleichberechtigung sagen?
Die Leute greifen unser Aussehen mit ihrem Hass und Kommentaren an, aber sie kennen nicht die Konsequenzen und dass sie unsere Identität angreifen. Und auch wenn wir „Mauern“ um uns herum haben, wirkt es auf uns, wenn wir es immer wieder hören. Die Menschen müssen verstehen, dass es falsch ist, die Identität von jemandem anzugreifen. Es ist notwendig, den Mund aufzumachen. Es geht darum, nicht zu schweigen, wenn man es sieht und hört. Schweigen hilft Homophobie, Nichtstun ist Mittäterschaft. Wir müssen auch Hassreden und Hassverbrechen als illegale und strafbare Handlungen in die Gesetzgebung aufnehmen. Wenn es sich zum Beispiel um Rassismus handelt, ist das illegal, aber es ist nicht strafbar für sexuelle/geschlechtliche Orientierung.
Was sind deine Pläne und Ziele?
Mein Ziel ist es, die Gesetzgebung voranzutreiben. Es ist notwendig, von oben zu beginnen. Ich sehe Probleme in der Gesetzgebung der Tschechischen Republik und möchte mich in diesem Bereich bewegen und etwas bewirken.
- FTSHP Fit w/ Mona - 27. 12. 2021
- FTSHP Fit w/ Blanka & Mika - 16. 12. 2021
- Editorial: Endless Summer (part II.) - 12. 8. 2021